Reihenuntersuchungen an Schraubverbindungen haben gezeigt, dass die Vorspannkraft beim Anziehen mit vorgegebenem Drehmoment je nach Versuchsbedingung zwischen +/- 25% bis +/- 40% schwanken können. Selbst unter idealen Laborbedingungen lassen sich Schwankungen in der Vorspannkraft von bis zu +/- 20% feststellen. Eine Schraubverbindung muss also so dimensioniert werden, dass sie auch bei der geringst möglichen Vorspannkraft noch sicher hält bzw. die Kräfte überträgt und auf der anderen Seite bei größt möglichem Anzugsmoment nicht abreißt. Das führt natürlich zu relativ groß dimensionierten Schraubverbindungen.
Die Gründe für die relativ großen Schwankungen liegen zum einen in den Toleranzen der Drehmomentschlüssel (lässt sich reduzieren durch regelmäßige Kalibrierung, aber wer macht das schon), zum anderen auch in der unterscheidlichen Handhabung. Den größten Einfluss hat allerdings die Reibung, die starken Schwankungen unterworfen ist.
Man kann diese Schwankungen umgehen mit dem sogenannten "Streckgrenzen gesteuerten Anziehverfahren", da man sich hier (fast) nur auf die Schwankungen in der Materaileigenschaft der Schraube verlassen muss. Die Streck- (od. Dehn-)-grenze eines Materials (einer Schraube) lässt sich bei einer Serienfertigung relativ genau reproduzieren. In der ursprünglichen Form des Streckgrenzen gesteuerten Anziehverfahren wird ein kontinuierlich aufzeichneder "Drehmomentschlüssel" (in der Serienmontage häufig motorisch angetrieben) genutz, der beim verlassen des linearen Zusammenhangs zwischen Drhemoment und Drehwinkel das Erreichen der Streckgrenze erkennt und ein Signal gibt bzw. aufhört anzuziehen. Hiermit lassen sich Schwankungen von unter +/- 10% erreichen. Das Verfahren xxNm + yy Grad ist eine Abwandlung dieses Verfahrens für den Werkstatteinsatz, dass mit Schwankungen von +/- 15% bis 20% aber immer noch genauer ist, als das Anziehen mit Drehmomentschlüssel.
Da die Schraube durch das Erreichen der Streckgrenze kaltverfestigt wird, hat sie natürlich beim nächsten mal anderen Materialeigenschaften und muss daher gegen eine neue Schrasube ersetzt werden.
Eigentlich könnte man diese Schraubverbindungen auch nach Gefühl anziehen. Wenn das Drehmoment nicht mehr merklich ansteigt, ist die Streckgrenze erreicht und man kann aufhören anzuziehen. Ob das Gefühl aber bei 100Nm + 2x 90° noch so gut ist???
Also, wie Wolf schon schrieb, alles im Dienste einer höheren Genauigkeit, man will sich auf das "Gefühl" von vielen verschiedenen Leute nicht verlassen, sondern eine möglichst exakte Vorspannung erreichen.
Übrigens, beim Anziehen von Hand (nur Schraubenschlüssel) geht man von Schwankungen von +/- 60% und mehr aus (d.h. die höchst mögliche Vorspannkraft kann 4 mal größer sein, als niegrigst mögliche). Und dies gilt auch nur für erfahrene Monteure, die vorher das Anziehen mit definiertem Schraubenschlüssel geübt haben.
Gruß
Wolfgang